• Folge 75 - Krieg dem Kriege (Kurt Tucholsky)

  • Dec 8 2023
  • Length: 22 mins
  • Podcast

Folge 75 - Krieg dem Kriege (Kurt Tucholsky)

  • Summary

  • In der heutigen Folge soll erneut ein pazifistisches Gedicht im Mittelpunkt stehen. Es ist nicht das erste auf diesem Kanal, was zeigt, wie wichtig mir das Thema ist. Wichtig einerseits und andererseits erschütternd, wie wenig der Mensch dazuzulernen scheint, wie blindwütig er sich anschickt, munter die alten Fehler zu wiederholen und zu wiederholen und zu wiederholen. Das tut aber der Größe dieses Textes, der keinesfalls blind, sondern geradezu hellsichtig zu nennen wäre, keinen Abbruch!



    Krieg dem Kriege

    Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
    Zeit, große Zeit!
    Sie froren und waren verlaust und haben
    daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,

    weit, weit –!


    Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
    Und keiner, der aufzubegehren wagt.
    Monat um Monat, Jahr um Jahr …
    Und wenn mal einer auf Urlaub war,

    sah er zu Haus die dicken Bäuche.

    Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
    der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
    Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
    „Krieg! Krieg!

    Großer Sieg!

    Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!“
    Und es starben die andern, die andern, die andern …
    Sie sahen die Kameraden fallen.
    Das war das Schicksal bei fast allen:

    Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.

    Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
    und man trug sie fort und scharrte sie ein.
    Wer wird wohl der nächste sein?
    Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.

    Werden die Menschen es niemals lernen?

    Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
    Wer ist das, der da oben thront,
    von oben bis unten bespickt mit Orden,
    und nur immer befiehlt: Morden! Morden! –

    Blut und zermalmte Knochen und Dreck …

    Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.
    Der Kapitän hat den Abschied genommen
    und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
    Ratlos stehen die Feldgrauen da.

    Für wen das alles? Pro patria?


    Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
    Brüder! das darf nicht wieder sein!
    Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
    ist das gleiche Los beschieden

    unsern Söhnen und euern Enkeln.

    Sollen die wieder blutrot besprenkeln
    die Ackergräben, das grüne Gras?
    Brüder! Pfeift den Burschen was!
    Es darf und soll so nicht weitergehn.

    Wir haben alle, alle gesehn,

    wohin ein solcher Wahnsinn führt –
    Das Feuer brannte, das sie geschürt.
    Löscht es aus! Die Imperialisten,
    die da drüben bei jenen nisten,

    schenken uns wieder Nationalisten.

    Und nach abermals zwanzig Jahren
    kommen neue Kanonen gefahren. –
    Das wäre kein Friede.


                                Das wäre Wahn.

    Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.

    Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
    Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
    Will das niemals anders werden?
    Krieg dem Kriege!

                            Und Friede auf Erden.

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